Johannes Reuchlin, der berühmteste Sohn Pforzheims, setzte sich im 16. Jahrhundert mutig für Religionsfreiheit und den Erhalt jüdischer Schriften ein. Sein Vermächtnis lebt heute im Museum Johannes Reuchlin und vielfältigen Wissenschaftspreisen weiter – ein Symbol für Toleranz und Menschenrechte, das gerade heute relevanter ist denn je.
Johannes Reuchlin: Pforzheims großer Humanist und Pionier der Toleranz
Pforzheim – Johannes Reuchlin, geboren 1455 in Pforzheim, gilt als einer der bedeutendsten europäischen Humanisten und als Vorreiter der Reformation. Mit dem Beinamen „Phorcensis“ („aus Pforzheim“) verband er sein Lebenswerk untrennbar mit seiner Heimatstadt. Im Zentrum seines Schaffens stand das Studium der lateinischen, griechischen und besonders hebräischen Urtexte, mit dem Ziel, die geistigen Quellen der Religionen und der Philosophie wieder zugänglich zu machen. Damit setzte Reuchlin Maßstäbe für den interreligiösen Dialog und die Toleranz, die heute aktueller denn je sind.
Ein Anwalt der Menschenrechte zur Zeitenwende
In einer Epoche geprägt von religiösen Konflikten und Verfolgungen trat Reuchlin als mutiger Verteidiger jüdischer Schriften auf. Während der berüchtigten „Judenbücherstreit“-Kampagne Anfang des 16. Jahrhunderts, bei der eine Zerstörung hebräischer Texte durch die Kirche gefordert wurde, nutzte Reuchlin seine Position als Bundesrichter und Hebräisch-Experte, um vor den verheerenden Folgen einer solchen Aktion zu warnen. Sein 1511 veröffentlichtes Gutachten „Augenspiegel“ appellierte eindringlich an Vernunft und Menschlichkeit: „Verbrennt nicht, was ihr nicht kennt!“ Trotz erheblicher Gegenwehr aus kirchlichen und theologischen Kreisen setzte er sich für das Recht auf kulturelle und religiöse Vielfalt ein – ein mutiges Bekenntnis zur Religionsfreiheit und zum interkulturellen Dialog.
Reuchlin und der Renaissance-Humanismus
Der Renaissance-Humanismus, als „Wiedergeburt“ der klassischen Antike, bildete den geistigen Rahmen für Reuchlins Arbeit. Er und sein Zeitgenosse Erasmus von Rotterdam teilten die Überzeugung, dass jeder Mensch mit Würde und Freiheit ausgestattet ist, seine eigene Geschichte zu gestalten. Auch wenn Reuchlin kein Reformator im Sinne Martin Luthers war, trug seine Arbeit zur Erneuerung und zur Öffnung der Kirche bei. Seine humanistischen Werte von Toleranz und Respekt gegenüber Andersgläubigen sind heute Grundpfeiler eines modernen Europa.
Museum, Wissenschaft und Erinnerungskultur
Das Museum Johannes Reuchlin in Pforzheim, eröffnet 2008 an der Schlosskirche, bietet einen lebendigen Lernort für die Beschäftigung mit Reuchlins Leben und Wirken. Es verbindet historische Substanz mit moderner Ausstellungstechnik und trägt mit seiner „Wand des Humanismus“ eine eindrucksvolle Mahnung gegen Intoleranz.
Seit 1955 verleiht die Stadt Pforzheim den Reuchlinpreis im dreijährigen Rhythmus an herausragende Geisteswissenschaftler, die im Geiste Reuchlins forschen. Zudem fördern internationale Kongresse und Publikationen die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Reuchlins Bedeutung für die europäische Kulturgeschichte.
Reuchlin als Vorbild für heute
Reuchlins Botschaft von Toleranz, Freiheit und Respekt über Konfessionen hinweg wurde 2022 mit dem Motto „Reuchlin gehört allen“ neu belebt. Seine Lebensphilosophie, die Vielfalt als Bereicherung sieht und Hass entgegensteht, ist eine dringende Mahnung für unsere heutige, zunehmend säkulare und multikulturelle Gesellschaft.
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